Gesellschaft, Kirche, Schule - heute und morgen

29.10.2022 10:39

Anlässlich unseres Schuljubiläums waren zwei hochkarätige Vertreter aus Wissenstransfer und Kirche in der Aula unserer Schule zu Gast, um sich über die Herausforderungen unserer Zeit zu unterhalten: Rafael Laguna de la Vera und Professor Dr. Matthias Sellmann.

 

 

Nach einem launigen Einstieg mit Anekdoten (Archiv-Text vom 3. Mai 2012) aus den Anfangsjahren des EGM, die Hans-Werner Bongard, einer der ersten Lehrer, und Paul Gerhard van der Kolk, einer der ersten Schüler, zum Besten gaben, kamen zwei der Themen zur Sprache, die derzeit im Zusammenhang mit Schule diskutiert werden: Innovationsfähigkeit (mit Fragezeichen) und Medienkompetenz (mit Ausrufezeichen).

 

 

Rafael Laguna, EGM-Abiturient des Jahres 1983, ist Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Professor Dr. Matthias Sellmann lehrt Katholische Pastoraltheologie an der Ruhr-Universität Bochum und ist Gründer und Leiter des dortigen Zentrums für angewandte Pastoralforschung. Die Fragen stellte Matthias Bongard (WDR), ebenfalls ein ehemaliger Schüler unserer Schule (Abiturjahrgang 1980).

 

Glauben Sie, dass eine kirchliche Schule mehr Verantwortung trägt, den christlichen Glauben an die Schülerschaft zu senden, als eine staatliche Schule?

 

Sellmann: Grundgesetzlich geschützt sind Schüler und Schülerinnen davor, in einer öffentlichen Schule mit einem Glauben übergriffig manipuliert zu werden. Und das muss natürlich auch für die Konfessionsschulen gelten. Ich würde aber schon sagen: Zu einem Glauben „eingeladen“ werden darf er oder sie schon. Und das hat dann in der evangelischen Kirche mit kritischer Emanzipation, Weite, gesellschaftlichem Gestaltungswillen, politischer Wachheit, aber auch mit barmherziger Zuwendung, Freude am Menschsein, an Gesellschaft zu tun. Das würde ich alles als evangelische Prägung einer Schule sehen. Ich würde sehr hoffen, dass das hier in der Luft liegt und man das quasi mit jeder Mathe- und Chemie- und sonstigen Stunde auch aufnimmt.

 

 

Müsste nicht eigentlich das heutige Schwarz-Weiß-Denken wieder revidiert werden durch Nächstenliebe: zuhören können, streiten können, aber auch sich versöhnen können?

 

Sellmann: Ja, absolut, aber ich wünsche mir neben Kritikfähigkeit auch die Tugend der Begeisterungsfähigkeit. Es gibt eine Form von Kritikfähigkeit, die beobachtet kritisch, aber hält sich aus allem heraus. Wir brauchen aber heute Leute, die eine Vision haben von Zusammenleben und zukünftiger Gesellschaft und die ihre Kritikfähigkeit dadurch unter Beweis stellen, dass sie das mit einem klaren Kopf und einem sehr großen Herzen machen. Die abstrakte, spröde Form von Kritikfähigkeit bringt uns nicht weiter.

 

Wie bringt eigentlich Innovation eine Gesellschaft voran?

 

Laguna: Indem wir mit dem, was wir machen, das größtmögliche Glück bei der größtmöglichen Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern schaffen. Es gibt aber nicht nur „gute“ Innovationen, sondern auch die, die die Umwelt zerstören, die die Gesellschaft zerstören. Ich glaube, wir wissen noch gar nicht, welche zerstörerische Wirkung die sozialen Medien haben.

 

 

Was glauben Sie: Wäre Jesus bei Facebook oder bei Instagram?

 

Sellmann: Auf jeden Fall wäre er das. Er würde aber, glaube ich, die sozial förderlichen Dinge von Facebook, Instagram oder Club House nutzen. Ich bin natürlich der Meinung, er wäre der biggest influencer ever.

 

Laguna: Als das Internet aufkam, hatte ich eigentlich eine wesentlich demokratischere Vorstellung von dieser Plattform, als sie es heute ist: Diese Demokratisierung der Kommunikation, die öffentliche Bereitstellung des Wissens war für mich der Anbruch der nächsten industriellen Revolution. Nur ist es, wie so oft, ganz anders gekommen: Dieser demokratische Ansatz wurde monopolisiert und die Art und Weise, wie das Internet monetarisiert wird, führt zu toxischen Geschäftsmodellen, die versuchen, die Leute dahin zu bekommen, es immer mehr und mehr zu benutzen. Diese Problem der Extremisierung müssen wir lösen.

 

Wo stehen Internet und Glauben zusammen? Und wo passen sie nicht zusammen?

 

Sellmann: Auf der einen Seite ist ganz viel religiöses Erzählen in digitalen Kulturräumen möglich, auch Sich-Versammeln, und das ist ganz wunderbar. Eine andere Sache ist natürlich, dass bei der Entwicklung von neuen Medien die alten Medien nicht aussterben, sondern immer noch eine ganz wichtige Funktion behalten.

 

Laguna: Generell muss eine Schule auf das Leben vorbereiten und da gehört natürlich heute auch der selbstverständliche Umgang mit digitalen Möglichkeiten dazu. Und der hoffentlich „begeistert-kritische“. Man darf ja nicht „Digitalisierung“ mit dem „Digitalisieren von analogen Prozessen“ verwechseln. Wenn jetzt aus dem Schulbuch ein pdf fürs iPad gemacht wird, dann ist das Quatsch. Ebenso ein Formular digital oder eine Tafel digital – das ist dasselbe Werkzeug, nur ein bisschen anders. Ich glaube, das geht viel fundamentaler und tiefer. Die kulturelle Herausforderung von Digitalität ist die Interaktivität, das wirklich interaktive Lernen. Auch selber Medien zu erzeugen ist eine wesentliche Kompetenz. Und Teamwork. Alles, was man in einer Gruppe kreativ machen kann, das muss in der Schule stattfinden. „Technik“ ist ja auch Kultur, mit der wir uns unsere Welt hoffentlich etwas angenehmer und für alle gemeinwohl-förderlicher organisieren können. Und das wäre schön, wenn eine Schule das schafft.

 

 

Es gibt aber auch den schönen pädagogischen Ausdruck der „originären Begegnung“. Das heißt, es wäre auch in Zukunft immer noch besser, mal eine Kuh zu melken, als ein Tutorial über Kühemelken zu gucken.

 

Laguna: Ja, ich weiß. Aber durch die Verfügbarkeit des Wissens der Welt im Internet sollten wir genau schauen, welchen Stoff eine Schule eigentlich noch vermitteln sollte. Das, was der lineare Frontalunterricht war, sollte stark zurückgehen. Es gibt im Internet ganz hervorragende Videokurse zu allen möglichen Themen, die macht man dann zu einer (Tages-)Zeit, wenn es passt. Eine Kuh nur virtuell zu erfahren, macht nicht so viel Sinn. Aber wenn man das Digitale dazu nutzt, die Dinge, die in der Schule langweilig sind, eleganter, besser und attraktiver digital zu machen, dann schafft man mehr Platz fürs Analoge und kann in der Schule die spannenden Dinge tun, die man nicht digital erfassen kann.

 

Was wünschen Sie sich für die Schule und die Gesellschaft in der Zukunft?

 

Sellmann: Unsere Generation hat viel falsch gemacht, es braucht jetzt eine andere Generation, die uns im besten Sinne des Wortes „aufs Altenteil schiebt“ und diese Welt in eine neue Zeit bringt.

 

Laguna: Dem würde ich mich anschließen. Ich glaube, was wir erreichen müssen, ist, dass wir die jungen Leute mitnehmen und ihnen sagen: „Und jetzt geht raus und macht.“ Und dann ist es auch die Zukunft, die du willst.

 

Zum Abschluss des Festaktes zum 60-jährigen Jubiläum des Evangelischen Gymnasiums Meinerzhagen dankte der Schulleiter, Herr Dombrowski, allen, die tagtäglich unsere Schule mit Sinn und Leben füllen.

 

 

Für die musikalische Unterhaltung zwischen den Diskussionsblöcken sorgte das Jazz-Duo Wahler Mamonne mit Karl-Friedrich Wahler, einem unserer Musik-Kollegen, an Piano und Kontrabass.

 

 

Gespräch: gekürztes Transkript der Podiumsdiskussion

Fotos: Carla Nesselrath und Amelie Renschler (beide 9A)

Textrahmen: Frau Arnold

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